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Worte des Tukaram
- Dilip Chitre
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Süddeutsche Zeitung, 29./30.01.00, Feuilleton, Kurt Oesterle

Gottes Hund
Worte des Tukaram – ein indischer Klassiker erstmals auf Deutsch
 
Er könnte hierzulande längst so berühmt sein wie Zarathustra, Lao-Tse oder der Siddharta-Buddha. Doch Tukaram, südindischer Dichter und Volksheiliger aus dem 17. Jahrhundert, wurde in Deutschland bisher übersehen. Ihm fehlte die Rezeption eines Nietzsche, Brecht oder Hesse – oder einfach ein guter Dolmetscher (...)
 
Jetzt ist er im Deutschen angekommen, auf dem Umweg über das Englische, in das der indische Lyriker, Essayist und Filmemacher Dilip Chitre ihn vor ein paar Jahren übertragen hat. Chitres Auswahl „Says Tuka" war damals ein Erfolg. Das können diese Gedichte, geschmeidig übersetzt von dem ehemaligen Heidelberger Indologen Lothar Lutze, in der deutschen Ausgabe auch werden (...)
 
Tukaram baut in seinem Werk keine Tempel, sondern Hütten und Baracken. Sein Gott ist einer der Sklaven, der Krüppel, der Hunde. Diese reden oft unverschämt mit Gott, freilich, sie wissen es nicht besser: „Zuweilen bist du ein Feigling", sagen sie, „der verzweifelt den eigenen Arsch in Deckung bringt." Die Feinde dieses derart respektlos angerufenen Höchsten sind Brahmanen, Asketen und andere Schausteller der Metaphysik, die fest im System der Kastenordnung verankert ist. Sie nennen Tuka, der zur niederen Kaste der Kornverkäufer gehört und seine letzte Habe bereits weggeschenkt hat, einen Gotteslästerer und wollen ihn verurteilen. Das erinnert verblüffend an die Heilsgestalt der westlichen Welt (...)
 
Chitre sieht das eigentliche Wesen der Klassiker darin, hinter uns zu liegen. In Tuka aber erkenne er einen Klassiker, der vor uns liege. Das Nichttriumphale seines Sprechens, der Verzicht auf erhabene Weisheiten, auf den Gestus feierlicher Belehrung und vor allem seine Verachtung des Egozentrismus verdichteten Tukas Werk zu jener hochprozentigen religiös-poetischen Provokation, die das 21. Jahrhundert dringend brauche (...)
SZ extra, 04.-10.05.00
 
Alex Rühle
Der kleine Gott der Anarchie
In Indien sind sie beide berühmt; der eine seit 300 Jahren, der andere erst seit einiger Zeit. Aber sie scheinen Brüder im Geiste zu sein. Der religiöse Dichter Tukaram lebte von 1608 bis 1649 und schrieb 4000 Gedichte, die „die beeindruckendste Autobiografie ergeben, die die Welt je gesehen hat". Das sagt der Lyriker, Essayist und Filmemacher Dilip Chitre, dem es zu verdanken ist, dass Tukaram nun zum ersten Mal im Deutschen ankommt (...)
 
Tukaram, das ist ein Mensch von derwischhafter Anarchie und hiobscher Verzweiflung, ein leiser Außenseiter, der allen Egozentrismus verachtet, ein Poet, der singend von Dorf zu Dorf zog, ein Mystiker, dessen Texte sich mal vorsichtig an einen deus obsconditus herantasten und dann wieder im Geiste protestantischer Religionskritiker alle metaphysischen Dogmen und die klerikalen Würdenträger aufs Korn nehmen (...)
 
Bei Dilip Chitre werden viele der Gebete Tukarams zu Reflexionen über die Literatur. Das sich entziehende Gedicht tritt an die Stelle eines verborgenen Gottes, ohne dass aber die Texte je etwas verquält Poetisches hätten. „Wo beginnt man mit dir / O Herr, du hast keine Anfangszeile / Es ist so schwer dich in Gang zu setzen" (...)